18.12.2017

Oswiecim 2017 – ein ausführlicher Reisebericht

In Kooperation mit der Abteilung Fanbelange und Schalke hilft! nutzte das Schalker Fanprojekt das spielfreie Wochenende im November (08.-12.11.), um gemeinsam mit 25 Schalke Fans, sowie fünf Mitarbeitern des Schalker Fanprojekts und des FC Schalke 04 eine Bildungsreise nach Oswiecim (Auschwitz) anzutreten.

Vorbereitung und Kennenlernen

IMG_6284swSie alle sind sich nicht unbekannt: Bereits im Oktober trafen sich die Teilnehmer in der Glückauf-Kampfbahn, um die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt Gelsenkirchen zu erfahren. Sie erarbeiteten die Geschichten der Widerstandskämpfer Leo Yehudah Diament, Leopold Sauer und Dr. Paul Eichengrün und besuchten die alte, sowie neue Synagoge. Dabei konnte besonders Judith Neuwald-Tasbach, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, den Teilnehmern einen lebendigen und ergreifenden Einblick in das jüdische Leben während und nach der NS-Zeit geben.

„Der FC Schalke 04 als einer der größten Vereine in Deutschland und Europa ist sich seiner enormen Strahlkraft und damit einhergehend seiner sozialen Verantwortung bewusst. Daher möchten wir mit dieser Fahrt ein Zeichen für eine aktive Erinnerungskultur und gegen das Vergessen setzen“, betont Sven Graner, Fanbeauftragter des FC Schalke 04.

Stadtrundgang

IMAG2194swIn der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag trat die Gruppe die Bildungsreise an. Nach der Ankunft bleibt den Teilnehmern der Fahrt nicht viel Zeit. Anschließend an das gemeinsame Mittagessen ist ein Rundgang durch die Stadt Oswiecim und auf dem jüdischen Friedhof geplant. Als die Teilnehmer zwischen den Grabsteinen umherlaufen, kommen sie langsam in der Stadt an, die im zweiten Weltkrieg ihren Namen verlor. Das Laub knirscht unter den Schuhen, während der Kopf versucht, die vielen auf ihn einprasselnden Informationen zu verarbeiten. Vorbei am Marktplatz, einer katholischen Kirche und der abgerissenen Synagoge, kommen sie ins Museum. Dort integriert ist die Chevra Lomdei Mishnayot Synagoge, die als einziges jüdisches Gotteshaus den Zweiten Weltkrieg in O?wi?cim überstand. Das Museum zeigt das jüdische Leben in der Stadt, dass durch den Einmarsch der Nazis in Polen ausgelöscht wurde. „Das ist nicht Auschwitz, das ist O?wi?cim. Ein Ort mit über 500 Jahren jüdischer Geschichte, die im Jahr 2000 mit dem letzten Juden der Stadt starb. Vergesst nicht, dass ihr hier wart. Denn nur wer weiß, was verloren gegangen ist, kann den Verlust begreifen“, gibt der Stadtbegleiter des jüdischen Zentrums den Teilnehmern mit auf den Weg.

Stammlager Auschwitz I

Foto 10.11.17, 09 19 19swDer nächste Morgen. Kalter Wind weht der Gruppe entgegen. Es sind aufgereihte Steingebäude, zwischen ihnen ein großer Platz, eingezäunt mit Stacheldraht. „Arbeit macht frei“ steht in großen Lettern über dem Tor. Die Gruppe läuft über die steinigen Wege des Stammlagers Auschwitz I. Vorbei an den Blöcken, in denen noch vor 72 Jahren jene Gefangenen, die an das Leben glaubten, ihre eigenen Zellen bauten. Für die Teilnehmer eine erschreckende Erfahrung, diese Orte nun persönlich zu sehen: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was die Menschen die ganze Zeit gedacht haben“, murmelt eine Teilnehmerin vor sich hin.

Über Kopfhörer erfährt die Gruppe ständig neue Informationen über diesen Ort: Auf diesem Platz dauerte der längste Appell 19 Stunden. In diesem Krematorium wurden die Menschen getötet – mit dem Insektizid Zyklon B, an dessen unzähligen leeren Behältern die Gruppe noch vor einer halben Stunde vorbeigelaufen ist.

Foto 10.11.17, 11 55 38Kopfschütteln. Einige ziehen sich zurück, verlassen die Gruppe für eine Weile. Manche trösten sich gegenseitig. „Von Anfang an hat unter den Teilnehmern großes Vertrauen geherrscht. Jeder konnte sich öffnen und seine Emotionen frei zeigen“, beschreibt Benjamin Munkert vom Schalker Fanprojekt die Situation vor Ort.

Der Rundgang endet in einem Museum, in dem ein Buch mit über vier Millionen Namen inmitten eines weißen Raumes steht. Die Gelsenkirchener begeben sich auf die Suche und finden neben vielen weiteren Persönlichkeiten den Schalker Spieler Ernst Alexander.

Reflektion in der Jugendbegegnungsstätte

Um das Erlebte besser einordnen zu können, finden sich die Teilnehmer in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte O?wi?cim/Auschwitz zusammen. Eine Reflektionsrunde am Ende des Tages sei wichtig, um dem Erlebten ein wenig Raum zu geben und es zu verarbeiten. „Innerhalb der Gruppe ist es unglaublich hilfreich von dem Tag zu erzählen und zu sehen, dass man nicht alleine ist mit seinen Emotionen, die man offen zeigen kann, weil man den anderen vertraut. Dass hat eine ganz bestimmte Dynamik hier unter den Schalkern, “ beobachtet Martin Weijers vom Schalker Fanprojekt, während er den Aufarbeitungsworkshop durchführt. Und auch am Abend spricht die Gruppe noch lange über den Tag, während sie traditionelle polnische Gerichte serviert bekommt.

Auschwitz II Birkenau

IMG_6178swAm darauf folgenden Morgen begibt sich die Gruppe nach Auschwitz II Birkenau. Ein Name abgeleitet von dem polnischen Dorf Brzezinka, in dem das Konzentrationslager entstand. Ein Name, der für das Zentrum der nationalsozialistischen Massenvernichtung steht. Die Erzählungen der kleinen polnischen Dame, die die Gruppe während der letzten zwei Tage begleitet, lassen die Teilnehmer schweigend über das weitläufige Gebiet gehen.
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Zwischen Holzbaracken und deren Ruinen führt der Weg die Gruppe irgendwann zum ehemaligen Badegebäude, das höhnisch auch Saunen genannt wurde. Hier unterwarf die SS neu ankommenden Häftlinge einer Aufnahmeprozedur. Hier verloren die Menschen ihre Identität, ihre Würde und wurden zur Nummer. Die Teilnehmer laufen denselben Weg, den die Opfer bestreiten mussten; mit dem Unterschied, dass sie heute wissen, was damals geschah.

Im letzten Raum schauen sie auf Fotos, die im Gepäck der nach Auschwitz deportierten Juden gefunden wurden. Sie zeigen das alltägliche Leben, Menschen mit Freuden und Problemen. – Sie zeigen viel mehr als die bloße Kategorie Völkermord.

Gedenken der Opfer

IMG_6300swVor Ort gedenkt die Gruppe besonders den Opfern des Grauens. An der sogenannten Judenrampe erinnern sie sich an die verfolgten und ermordeten jüdischen Gelsenkirchener, deren Geschichten sie zu Beginn ihrer Reise aus der Ferne kennengelernt haben. Eine vorgelesene Geschichte personalisiert die Erfahrungen der letzten drei Tage, die die Teilnehmer noch nachdenklicher stimmt. „An diesen Ort kamen viele ehemalige Schalker, Vereinsmitglieder und Gelsenkirchener Jugendspieler an. Daher haben wir hier an die Opfer gedacht. Wir haben weiße Kieselsteine niedergelegt. Stellvertretend für alle Opfer des zweiten Weltkrieges“, erzählt Sven Graner, Fanbetreuer des FC Schalke 04.

Abschlussreflektion

Foto 11.11.17, 10 44 11Auch am letzten Tag der Reise trifft sich die Gruppe zu einer Abschlussreflektion. Den Teilnehmern gehen die Erfahrungen der letzten Tage sehr nahe. „Es bedeutet viel, die Größe und den Wahnsinn zu sehen, der hinter dem Holocaust steckt. Zahlen auf einem Blatt Papier sind sehr staubig anzuschauen, aber das hier gesehen zu haben, berührt und hat in vielen Menschen sehr viel ausgelöst“, erklärt Weijers. Die Teilnehmer beschreiben: „Das Auge hat es gesehen, aber der Verstand hat es noch nicht wahrgenommen.“

Trotz der ausgelassenen Stimmung am Abend beim gemeinsamen Essen, entstehen an unterschiedlichen Stellen des langen Tisches immer wieder Gespräche über die vergangenen Tage, die hinter der Gruppe liegen. Themen, die die Teilnehmer mit nach Gelsenkirchen, nach Hause und in die Kurve nehmen, um gemeinsam für ein vielfältiges und buntes Zusammenleben einzustehen.

Vielen Dank für den ausfürlichen Bericht an Natalie. Eine Gallerie zu der Fahrt findet ihr hier.