13.08.2010

Buchtipp: Teil-Nehmen und Teil-Haben

Allzu oft wird die Verbindung von Fußball und jugendlichen Fans nur entlang des Themas Gewaltbereitschaft und damit als potenzielle Bedrohung ausbuchstabiert. Eine gänzlich andere Perspektive eröffnet der kürzlich erschienene Sammelband Teil-Nehmen und Teil-Haben. Fußball aus Sicht kritischer Fans und Gesellschaftswissenschaftler, der die Potenziale von Mitbestimmung und Partizipation im Fußball gerade für junge Fans ausleuchtet.

Herausgeber Bernd Lederer, Erziehungswissenschaftler an der Universität Innsbruck, stellt es gleich in seinem Vorwort klar: Für viele Fans ist der Fußball auch in Zeiten seiner immer weiter zunehmenden Kommerzialisierung nicht nur Konsumgut, sondern „vielmehr Inhalt einer persönlichen Erfahrungswelt mit Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe und Mitbestimmung.“ Die Beiträge des Bandes, die von Fans und Gesellschaftswissenschaftlern aus Österreich und Deutschland stammen, werfen unterschiedliche Perspektiven auf diese Konstellation und ihre Potenziale für den Fußball und die Fankultur, die Ansprüche einer kritisch-emanzipatorische Pädagogik, aber auch einer stärkeren gesamtgesellschaftlichen Partizipation von Jugendlichen.

Am anschaulichsten werden Gestaltungswillen und -möglichkeiten in Stadion und Verein in den Beiträgen aus der aktiven Fanszene: Christian Deker stellt Strategien gegen Homophobie im Fußball und das Engagement schwullesbischer Fanklubs (www.queerfootballfanclubs.com) vor, Jennifer Töpperwein skizziert weibliche Fankultur und die Interventionen gegen Sexismus im Fußball u.a. durch das Netzwerk F_in (www.f-in.org) und Roger Hasenbein verdeutlicht am Beispiel des FC St. Pauli verschiedene Einflussmöglichkeiten einer aktiven kritischen Fanszene: von Antidiskriminierungsaktionen bis zur Verhinderung einer künftigen Umbenennung des Stadion durch die Mitgliederversammlung. Die erziehungswissenschaftlichen Texte des Bandes lesen sich ein wenig mühsamer und bleiben den konkreten Bezug auf die Fußballwelt mitunter schuldig. Wichtig ist ihnen die Betonung einer echten Teilnahme und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an gesellschaftlichen Prozessen, verstanden, also Partizipation und Gestaltung statt bloßer Konsum von Angeboten. So kann Selbstorganisation von Fans, Engagement gegen Kommerzialisierung und Reglementierung und der Einsatz für eine positive und selbstbestimmte Fankultur als positiv im Sinne einer weiter reichenden gesellschaftlichen Partizipation von Jugendlichen verstanden werden.

Die verschiedenen Formen der „Selbstermächtigung“ von Fans in der Gestaltung ihrer Räume basieren – das macht etwa der Beitrag von Roman Horak deutlich – auf einer Haltung, die nichts mit Konsum zu tun hat. Aus Untersuchungen der Fankultur der beiden großen Wiener Klubs Rapid und Austria ergibt sich das Bild eines jugendlichen Publikums, das sich als Teil des Vereins sieht und auch entsprechende Rechte einfordert. Nicht zu unterschlagen ist hier auch das latente Gewaltpotenzial jugendlicher Fangruppen, ebenso klar ist jedoch für Horak, dass ein sinnvollen Umgang damit nicht eine striktere Sicherheitspolitik sein kann, sondern mehr Sozialpädagogik nach dem Vorbild der deutschen Fanprojekte. Einen interessanten Kontrapunkt zu den Vorstellungen einer positiv besetzten Identifikation mit Verein, Mannschaft oder Fangruppe setzt der Beitrag von Gerhard Vinnai, der einen betont kritischen Blick auf dieses „illusionäre Wir-Gefühl“ wirft und darin lediglich Kompensationen realer sozialer Ungleichheiten und Ohnmachtsgefühle sieht.

Die mitunter ein wenig disparat zusammengestellten Beiträge des Bandes bieten unter anderem noch Einblick in die langjährige Arbeit der Antirassismusinitiativen FairPlay und FARE (www.farenet.org), beleuchten die Effekte der Globalisierung auf den Fußball oder skizzieren die sicherheitspolitischen Auswirkungen der EM 2008.

Die Kernbotschaft des Sammelbandes formuliert Herausgeber Bernd Lederer noch einmal im Nachwort: Das Einfordern und Ausüben von Mitbestimmung in Fußball und Fankultur ist keine Politisierung eines an sich unpolitischen Raumes, sondern vielmehr sind auch Sport, Kultur und Freizeit immer auch politisch, ebenso wie die Interventionen in diese Bereiche, sei es von Fans, Vereinen, Sponsoren oder TV-Anstalten. Die Initiativen aus dem Fußball und insbesondere dem Fanbereich können hier in Sachen Selbstorganisation und Kreativität übrigens durchaus Vorbild für andere gesellschaftliche Sphären sein: Sei es der Einsatz gegen Diskriminierung in den Kurven oder die Wirksamkeit von Organisationen wie dem Fanrechtefonds (www.fanrechtefonds.de) gegen die Kriminalisierung von Fußballfans. In Österreich zwang die vereinsübergreifende Faninitiative „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ Politik und Vereine das im Januar erlassene Verbot von Pyrotechnik im Stadion erneut zu beraten und legte ein eigenes Konzept für einen verantwortungsvollen Umgang mit Pyro auf den Tisch.

Bernd Lederer (Hg.): Teil-Nehmen und Teil-Haben. Fußball aus Sicht kritischer Fans und Gesellschaftswissenschaftler. Werkstatt-Verlag, Göttingen 2010, 224 Seiten, 16,90 Euro