21.05.2010

Aktuelle Bilanz zum Thema Fanarbeit: KOS stellt Sachbericht 2010 vor

Die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) stellte auf ihrer Pressekonferenz am Donnerstag den aktuellen Sachbericht zum Stand der sozialen Arbeit mit Fußballfans vor. Die Broschüre gibt einen Überblick über die Arbeit der 47 lokalen Fanprojekte in Deutschland. Im Pressegespräch in Frankfurt am Main betonten KOS-Leiter Michael Gabriel und Prof. Dr. Gunter A. Pilz von der Leibniz-Universität Hannover den Wert präventiver Arbeit für den Umgang mit aktuellen Problemen im Fußball.

Zum mittlerweile siebten Mal veröffentlicht die KOS ihren Sachbericht zum Stand der sozialen Arbeit mit Fußballfans in Deutschland. In kurzer prägnanter Form stellen sich hier die 47 Fanprojekte mit ihren lokalen Schwerpunkten vor und vermitteln einen Eindruck der vielfältigen Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten durch die pädagogischen Fanarbeit. Aktuell existieren 47 Fanprojekte, wobei unter dem Dach der Einrichtungen in Berlin, Hamburg, Leipzig und München je zwei Fangruppen (bzw. auch drei) – teils räumlich getrennt – betreut werden. Somit werden an 42 Standorten Fans von 47 Mannschaften in der 1. und 2. Bundesliga, der 3. Liga, der dreigeteilten Regionalliga und in zwei Oberligen sozialpädagogisch betreut.

Fanprojekte als Türöffner

Die Arbeitsfelder der Fanprojekte zeichnen sich durch eine große Vielfalt aus. Grundlage allen Handelns der Mitarbeiter/innen der Fanprojekte ist eine belastbare, auf Vertrauen beruhende Beziehung zur Fanszene. Michael Gabriel betonte diese besondere Rolle der Fanprojekte: „Vereine, Polizei und Behörden haben bezüglich des Fußballs eindeutige Interessen, weswegen ihnen Fußballfans zumeist auch mit Skepsis begegnen. Die Fanprojekte genießen dank ihrer Unabhängigkeit eine hohe Wertschätzung und nehmen in vielen Konflikten eine Mittlerrolle ein. Sie öffnen Türen, die fest verschlossen schienen, sie bringen Leute miteinander ins Gespräch, bei denen die Fronten verhärtet sind.“

Zum Angebot der Fanprojekte gehören alkohol- und nikotinfrei Auswährtsfahrten für Jugendliche, interkulturelle und internationale Jugendbegegnungen über Vereinsgrenzen hinweg, die Aktivierung der Selbstregulierungskräfte der Fanszene gegen Gewalt, sport- und erlebnispädagogische Angebote, Projekte der politischen Bildung, Unterstützung von Fangruppen im Engagement gegen Diskriminierung. Hinzu kommen individuelle Einzelfallhilfe bei Problemen in der Schule oder in der Familie, bei der Arbeitssuche, bei Konflikten mit Polizei und Justiz oder bei Suchtproblemen.

Dazu Michael Gabriel: „Wir sind überzeugt, dass jeder Euro, der in diese Arbeit investiert wird, hervorragend angelegtes Geld für die Kinder und Jugendlichen der jeweiligen Kommunen und Länder ist, zumal jeder Euro über das Drittelfinanzierungsmodell auf drei Euro aufgestockt wird.“ Das Prinzip der Drittmittelfinanzierung (durch Bundesland, Kommune und DFB/DFL) sieht Gunter Pilz durch die jüngsten Äußerungen etwa des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann, der eine stärkere Beteiligung des Fußballs für das Problem der Fangewalt forderte, in Gefahr: „Warum soll der Fußball allein zahlen für ein gesellschaftliches Phänomen? Prävention gehört ganz oben auf die Prioritätenliste, gerade beim Innenministerium, von daher muss man dann auch Geld in die Hand nehmen.“

Gewaltproblem und das Feindbild Polizei

Hier haben sowohl der Fanforscher als auch die Praktiker aus der Fanarbeit die Zahlen und Erfolge auf ihrer Seite. Die Fanprojekte stellen in ihrer Praxis fest: Je kommunikativer, transparenter und differenzierter Polizeieeinsätze durchgeführt werden, desto höher die Akzeptanz bei den Jugendlichen. Aus diesem Grund hat die KOS einen engeren und strukturierten Dialogs zwischen Fanprojekten und Polizei noch einmal intensiviert. Auch die von Prof. Dr. Gunter A. Pilz initiierten Zukunftswerkstätten zwischen Fans, Fanprojekten, Vereinen und Polizei haben dazu beigetragen, dass sich an einigen weiteren Standorten die örtliche Polizei an den guten Erfahrungen des Hannoveraner Kommunikations- und Konfliktmanagerkonzepts orientiert. Gunter A. Pilz berichtete, dass in Hannover auch bei Risikospielen die Polizeipräsenz (und damit die Kosten) durch den Einsatz von Konfliktmanagern um ein Viertel verringert werden konnte. „Früher waren da 800 bis 1000 Beamte im Einsatz, heute sind es 250 – und es passiert weniger.“ Hannover 96 ist übrigens eine der sechs Mannschaften, die in der Saison 2009/10 keine Strafe für ein Fehlverhalten ihrer Fans bekamen. Ein Grund mehr, so das Plädoyer von Pilz und Gabriel, zukünftig mehr statt weniger Geld in präventive Projekte zu investieren: „Die derzeitigen Gesamtsummen für Prävention und die fußballbezogenen Polizeikosten stehen geradezu in absurder Relation zueinander. Bundesweit könnte man viel Geld sparen, würde man das Konfliktmanagement der Hannoveraner Polizei, das in Abstimmung mit dem Verein und dem Fanprojekt entwickelt wurde, auch an anderen Standorten einführen.“

Das aktuelle Fazit der Fanarbeit in Deutschland hat jedoch auch Schattenseiten: Die Realität der lokalen Fanprojekte wird an vielen Standorten durch zu hohe Erwartungen auf der einen und strukturelle Defizite und personelle Unterbesetzung auf der anderen Seite bestimmt. Durchschnittlich sind weniger als zwei Hauptamtliche in den Fanprojekten angestellt, die es häufig jeweils mit Fanszenen zu tun haben, deren Zahl in die Tausende geht. Zur Veranschaulichung: Das Nationale Konzept Sport und Sicherheit von 1993, das die Arbeitsgrundlage der Fanprojekte bildet, sieht modellhaft drei feste hauptamtliche Mitarbeiter/innen sowie eine administrative Kraft vor. Ein Standard, der bei Weitem nicht überall erreicht wird.

Fanprojekte und Fans sind Teil des Erfolgsmodells Bundesliga

Die Einrichtung eines Fanprojekts bietet die Möglichkeit, die vielfältigen positiven Potenziale der jugendlichen Fankultur für die Jugendlichen selbst, aber auch für die Gesellschaft und den Fußballsport zu nutzen. Das ist im Kern die große Chance, die mit einem Fanprojekt verbunden ist und die das weltweit einzigartige Modell der deutschen Fanprojekte ausmacht. England können es sich Jugendliche und weniger gut Verdienende wegen der hohen Eintrittspreise kaum noch leisten, Fußballspiele live zu besuchen. In Italien wurde die Fankultur von Vereinen nie konstruktiv eingebunden, sondern ausschließlich repressiv bekämpft, was zu massiven Problemen mit Gewalt und Rassismus geführt hat. In Deutschland hingegen tragen die vielen jugendlichen Fans auf den Stehplätzen der Stadien mit ihrem kreativen Support zur hohen Attraktivität des Fußballs und den entsprechenden Zuschauerzahlen bei.

Die Wirkung der pädagogischen Arbeit der Fanprojekte reicht weit über den Fußball hinaus. Sie unterstützt mithilfe der verbindenden Wirkung des Fußballs und seiner besonderen Fankultur die demokratische Erziehung vieler Jugendlicher, und zwar auch solcher junger Menschen, die über andere Einrichtungen nicht (mehr) erreichbar sind. Somit leistet die Fanarbeit einen wichtigen Beitrag für das gesamte demokratische Gemeinwesen. Dazu abschließend Michael Gabriel: „Seitens der Geldgeber und der öffentlichen Meinung erhoffen wir uns für die Zukunft eine weitere Stärkung des Systems der sozialen Arbeit mit Fußballfans.“

Der aktuelle Sachbericht 2010 steht Ihnen hier ( kos-sachbericht-2010-screen ) als pdf-Download zur Verfügung.

Einen aktuellen Bericht über die Präventionsarbeit der Fanprojekte finden Sie bei zdf-online.