11.09.2014

„Taksim ist überall“ – Vortrag am 9.9.2014

Gestern, am 9.9.2014, fanden sich ca. 30 Anhänger der Schalker Fanszene für einen besonderen Vortrag im Integrativen multikulterellen Zentrum (IMZ) in Gelsenkirchen-Bismarck ein. Zwei Mitglieder der Gruppe Carsi München hielten einen Vortrag, der sich vor allem rund um die Ereignisse der Proteste in Istanbul rund um den Taksim Platz und den Gezi Park drehten.
Carsi (übersetzt etwa „Markt“ – nach dem Treffpunkt der Gruppe im Stadtteil Besiktas auf der europäischen Seite des Bosporus) ist die größte und einflussreichste Fangruppierung des Istanbuler Clubs Besiktas. Während Carsi Fans aller sozialen Schichten vereint, gibt es keine feste Struktur – tonangebend seien vor allem die „Brüder“, die Gründungsmitglieder der seit den 80ern bestehenden Gruppe.
Die Gruppe bedient sich anarchistischer Symbolik – der eingekreiste Buchstabe A im Namen der Gruppe oder ihr Motto „Carsi ist gegen alles“ sprechen eine deutliche Sprache – will sich aber nicht auf Staatsfeindlichkeit reduzieren lassen. Vielmehr sei man „gegen jede Ungerechtigkeit“, der Kreis um das „A“ bedeute den Einschluss aller Denkrichtungen, solange diese mit den sozialen und eher linken und ökologischen Werten der Gruppe vereinbar sei. Carsi engagiert sich sozial und ökologisch. Von Kleiderspenden für Erdbeben-Opfer bis hin zu gemeinsamen Projekten mit Greenpeace mobilisiert die Gruppe regelmäßig auf kreative Weise die Anhängerschaft ihres Clubs.
Auslöser für die größten Sozialproteste in der Türkei der jüngeren Vergangenheit war der Plan der Regierung, den vor allem bei Jugendlichen und Intelektuellen als Treffpunkt beliebten Gezi-Park zu einem Einkaufszentrum umzuwandeln. Nach ersten Parkbesetzungen entschlossen sich die „Brüder“, sich an den Protesten zu beteiligen. Über Facebook und Twitter wurden Anhänger für einen Marsch zum Park mobilisiert. Im Laufe des ca. drei Kilometer langen Marsches vom „Markt“ um Taksimplatz wurden aus den 500 Anhängern, die sich am Treffpunkt einfanden, fast 40.000 Demonstranten. Gegen Abend fanden sich neben dem Umfeld von Carsi auch Anhänger der rivalisierenden Clubs Fenerbahce und Galatasaray im Gezi Park ein. Die Polizei wurde zunächst zurückgedrängt, in den folgenden Tagen half Carsi bei der Organisation des Protestcamps. Immer wieder bediente man sich auch kreativen Formen des Protests wie Sprechchören, die ihrerseits wieder den Weg in die Stadien fanden.
Dennoch blieb es nicht immer friedlich, denn die Polizei ging nach anfänglichen Rückzügen massiv gegen die Proteste vor. Eine Grundeinstellung von Carsi sei es, nicht aktiv anzugreifen, sondern sich gegen Angriffe zu wehren – was man auch tat. Am vergangenen Montag wurde die Anklageschrift gegen die „Brüder“, die als Rädelsführer identifiziert wurden, eröffnet. Die Staatsanwaltschaft wirft nicht weniger als den Versuch eines Putsches vor. Die Strafe hierfür ist lebenslängliche Haft. Dennoch blickt Carsi mit Zuversicht in die Zukunft.
Als positivster Effekt der Proteste wird beschrieben, dass viele unterschiedliche Menschen im Protestcamp zusammen kamen und ihren Teil zum Gelingen eines friedlichen Protests beitrugen. Frauen und Homosexuelle, von vielen in der konservativ geprägten Türkei kritisch beäugt, wurden während der Proteste als gleichberechtigte und wertzuschätzende Akteure kennengelernt. Ein mehr an Toleranz und Respekt sei die Folge gewesen.
Mehr zur Rolle der Fußballfans während der Gezi-Proteste könnt ihr im Film „Istanbul United“ erfahren, den das Schalker Fanprojekt als Sondervorstellung am 19. September um 20:00 Uhr im Apollo Cinema präsentiert (nähe Arena).